Nov 282011
 

Das Kleid hier wollte ich schon eine ganze Weile machen – Ophelia, aus John William Waterhouse’s Gemälde:

Als erstes mal – dies hier ist KEIN „Mittelalterkleid. Es ist auch kein „Fantasykleid“. Die korrekte Bezeichnung für ein Kleid wie dieses ist ein ‚Pre-Raphaeliten-Kleid“, abgeleitet von der Bezeichnung, die auch für diese Art von Gemälde benutzt wird.
Ich dachte nur, daß ich das mal erwähnt haben sollte – soll ja Leute geben, die die Kleider aus Waterhouse’s Gemälden für authentische Mittelalterkleidung halten (und NEIN, das sind sie definitiv NICHT!) 😉

Schauen wir uns das Gemälde mal genau an.

Da ist zunächst einmal das Überkleid – blau – das einen interessanten, rosa-lilafarbenen ‚Schimmer‘ entlang der Falten zu haben scheint. Das bringt mich dazu, anzunehmen, daß es sich hierbei entweder um changierenden Stoff (was bedeutet, daß Schuß- und Kettfäden verschiedene Farben haben – oder, mit anderen Worten, der Stoff ist garngefärbt) oder daß der Stoff relativ offen gewebt ist (also nicht ganz undurchsichtig), und sich darunter ein pink-rotes Futter befindet, welches durchschimmert.
Das Überkleid hat eine goldfarbene Stickerei entlang des Ausschnittes, und dann ist da die breite, goldene Borte, auf der Löwen zu sehen sind. Des weiteren ist das Oberteil des Überkleides entlang der vorderen Mitte entweder geknöpft, gehakt oder gepinnt – man kann das recht gut erkennen; an den Stellen zieht sich der Stoff in regelmäßigen Abständen zusammen.
Die Ärmel – glockenförmig ab den Ellbogen – sind mit einem rosa-rötlichem Futter abgefüttert, welches ein gewisses Maß an Schimmer zu haben scheint. Die Tatsache, daß das Futter diese Farbe hat, bestärkt meine schon erwähnte Theorie, daß das Kleid möglicherweise mit einem solchen Futter abgefüttert ist und sich daraus das Changieren des Stoffes ergibt.
Diese Theorie wird auch nicht dadurch verdrängt, daß sich an der Innenseite der Unterkante des Rockes ein goldenes Futter zeigt – dieses goldene Futter könnte eine Art Stabilisierung für die außen aufgenähte Löwenkante sein. Diese breite Kante allerdings ist wirklich auf den blauen Rockteil aufgenäht (und nicht etwa angesetzt; das kann man am hochgehobenen, mittleren Rockteil sehen, wo zwischen Löwenkante und goldenem Futter noch ein winziger Streifen blauen Stoffes zu sehen ist.

Dann wäre da noch das rote Unterkleid. Dies hat definitiv eine andere, kräftigere und intensivere Farbe als das Futter des blauen Überkleides (sehr schön erkennbar am (im Bild) linken Arm).  Anhand des Teiles des Rockes des roten Kleides, der unter dem hochgehobenen blauen Überkleid sichtbar ist, würde ich raten, daß das rote Kleid aus einer Art gemustertem Damast besteht.
Wie auch das Überkleid ist auch das rote Unterkleid entlang der vorderen oberen Mitte gepinnt / geknöpft / zugehakt; man kann das auf dem Gemälde wirklich gut erkennen.
Die eng anliegenden Ärmel des Unterkleides sind entlang der Unterseite des Armes geknöpft. Das kann man recht gut an dem Unterarm sehen, der sich am Baum festählt, und zwar an der Unterseite („Pulsseite“) des Handgelenkes.

Unter dem blauen Über- und dem roten Unterkleid ist allerdings NOCH etwas. Da ist eine weiße ‚Kante‘ am Ausschnitt, unterhalb des roten Kleides; die auch gesmockt zu sein scheint. Ich denke, daß es relativ sicher ist, anzunehmen, daß es sich hier um eine Chemise oder ein Hemd handelt.

Für mein eigenes Kleid habe ich mich für ein blaues Leinen-Überkleid entschieden, welches ich mit roséfarbenem Taft füttern und selbstverständlich auch in gold besticken werde. Die ‚Löwe‘-Kante werde ich mit goldenem Seidenorganza und maschinengestickten Löwen realisieren.

Hier sind ein paar Bilder davon, was ich geplant habe:

Stickerei am Ausschnitt – ich habe eine ganze Weile (drei Tage, um genau zu sein) damit im Punchprogramm (das ist das, womit man Stickereien digitalisiert….) herumgespielt – es dauerte, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war. Tatsächlich ist es ziemlich schwierig, die Stickerei auf dem Gemälde zu erkennen; also habe ich mir auch ein wenig künstlerische Freiheit gegönnt. Zum Vergrößern bitte klicken:

Original im Gemälde Vorschau erster Entwurf Vorschau zweiter Entwurf
Vorschau dritter Entwurf Vorschau vierter Entwurf Vorschau fünfter
(und endgültiger) Entwurf

Und so sieht der fünfte Entwurf im direkten Vergleich mit dem Gemälde aus:

 

Hier sind die ersten Bilder der fertigen Stickerei am Ausschnitt:

Hier ist auch noch mein Entwurf für die Löwen auf der Kante:

Original Painting  A first draft  First draft preview
     

Und nun kommen wir zum Aussticken der Löwen auf dem Saum.
Dafür habe ich mich entschieden, einen gebogenen Streifen Stoff (der im Prinzip der Kurve des Saumes folgt) zu machen, und darauf die Löwen auszusticken.
Auch habe ich mich entschieden, eine Imitation von historischem Goldstoff zu machen. Hier ist ein Bild davon, wie ich das gemacht habe:

Links: Rechte Seite meiner Goldstoffimitation; Rechts: Linke Seite meiner Goldstoffimitation.

Ich habe zwei verschiedene Stoffe benutzt, um den Goldstoff zu imitieren: Erstens, gecrashte Metallicseide, die mit goldenen Metallfäden und schwarzen Seidenfäden gewebt ist; und goldenen Laméstoff (ja, das billige Karnevalszeug).
Diese beiden Stoffe habe ich aufeinandergenäht, was meiner Ansicht nach den historischen Goldstoff recht gut imitiert.

Wie man im Bild oben wohl auch gut sehen kann, habe ich angefangen, die Löwen auf dem Saum auszusticken. Am Ende werde ich 16 Löwen haben: 8 schauen nach links, 8 nach rechts; und der Mittelpunkt der Löwen ist etwas weniger als 50 cm auseinander. Wer nun mitrechnet, weiß, daß mein Rocksaum also knapp 8 Meter lang ist.

Hier ist ein Bild davon, wie einer der Löwen ausgestickt wird:

Und hier ist noch ein Bild von einem fertigen Löwen:

Übrigens, jeder Löwe hat 9.510 Stiche und braucht zum Aussticken etwa 45 Minuten. Für alle 16 Löwen sind das 152.160 Stiche und 12 Stunden Stickarbeit!

Bleibt dran für Updates 😉

Hier noch Links zu anderen Leuten, welche dieses Kleid reproduziert haben:

Wenn Du auch eine Reproduktion dieses Kleides gemacht hast und in der Linkliste stehen möchtest, dann zögere nicht, diesen Eintrag mit einem Link zu Deiner Webseite zu kommentieren!

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